
Kann eine einfache Smartphone-App wirklich Stress und Angst spürbar senken?
Stellen wir uns vor: Du bist angespannt oder gestresst, vielleicht kreisen negative Gedanken, und du willst sofort etwas tun — aber kein Gespräch, keine Sitzung, keine lange Übung. Eine App auf deinem Smartphone könnte helfen. Genau das haben die Autoren dieser Studie untersucht: Ob eine App, die Emotional Freedom Techniques (EFT, oft auch „Klopfen“) anleitet, sofortige Entlastung bringen kann.
EFT ist eine Methode aus dem Feld der „Energy Psychology“. Sie kombiniert kognitive Elemente (z. B. das Fokussieren auf belastende Gedanken oder Gefühle) mit körperlicher Stimulation: Beim Klopfen werden mit den Fingerspitzen bestimmte Akupunkturpunkte sanft berührt („getippt“), während die Person sich gleichzeitig auf das belastende Thema konzentriert. In der App-Version wurde eine kürzere Form („short form“) verwendet, mit ca. 9 Punkten, oft in unter 30 Sekunden durchführbar.
Die App, genannt The Tapping Solution App (nur auf Englisch verfügbar!), enthält geführte „Tapping Mediations“ (Klopf-Meditationen) für verschiedene Themen – Angst, Stress, Sorgen etc. Die Studie nutzte Daten von über 270.000 Nutzenden über etwa ein Jahr (Oktober 2018 bis Oktober 2019). In Summe wurden 380.000 App-Sitzungen (Meditationen) analysiert.
Die Kernfrage war: Verändert sich das subjektive Belastungsgefühl (emotionaler Stress, Angst) unmittelbar vor und nach der Nutzung der App?
Was die Ergebnisse zeigten
Die Nutzer:innen bewerteten vor und nach einer Sitzung ihre emotionale Belastung mit einer Skala von 0 bis 10 (Subjective Units of Distress, SUD).
Angst-Module
- Vor der Sitzung betrug der Mittelwert etwa 6,66 (SD 0,25)
- Nach der Sitzung sank der Mittelwert auf etwa 3,75 (SD 0,30)
- Der Unterschied war hochsignifikant (p < .001) und die durchschnittliche Reduktion lag bei etwa 2,9 Punkten
Stress-Module
- Vorher: durchschnittlich 6,91 (SD 0,48)
- Nachher: 3,83 (SD 0,54)
- Auch hier war der Unterschied hochsignifikant (p < .001), und die Reduktion betrug etwa 3,08 Punkte
Diese Effekte stimmen gut überein mit vielen Studien zur Wirksamkeit von EFT in traditionellen Settings. Die Autoren ziehen daraus den Schluss, dass die App eine vorläufige Unterstützung darstellt, um psychisches Unwohlsein sofort zu lindern.
Bedeutung für Praxis und Forschung
Trotz gewisser Einschränkungen im Studien-Design ist sie ein interessantes Beispiel dafür, wie mobile Health-Apps (mHealth) traditionelle psychotherapeutische Techniken digital verfügbar machen können. Einige Aspekte sind besonders bemerkenswert:
- Die Skalierbarkeit: Eine App kann – einmal erstellt – vielen Menschen gleichzeitig zur Verfügung stehen, oft kostengünstig und ohne Ortsbindung.
- Die Zugänglichkeit: Für Menschen, die sonst keinen Zugang zu Therapie haben oder in akuter Not sind, kann eine solche App kurzfristige Unterstützung bieten.
- Die Rolle als Begleitmaßnahme: Die Autoren betonen, dass die App nicht professionelle Behandlung ersetzen soll, sondern ergänzen kann.
- Für die Forschung zeigt die Studie, wie sich große „Real-World“-Daten (App-Logs) nutzen lassen, um erste Hinweise auf Wirksamkeit zu erhalten — allerdings nur in Kombination mit kontrollierten Studien kann ein stärkeres Evidenzfundament entstehen.
Zukünftige Untersuchungen könnten z. B.:
- randomisiert kontrollierte Studien (RCTs) mit der App durchführen,
- langfristige Effekte messen (Wochen, Monate),
- objektive Messgrößen (z. B. Herzfrequenz, Cortisol) ergänzen,
- Subgruppen vergleichen (Alter, Geschlecht, kultureller Hintergrund),
- Nutzerinteraktionen (z. B. Nutzungshäufigkeit, Engagement) mit Outcomes in Beziehung setzen.
Fazit
Die Studie liefert einen faszinierenden Einblick, wie eine App, die auf der EFT-Methode basiert, in Echtzeit und großem Maßstab subjektiv gemessenen emotionalen Stress reduzieren kann. Die Befunde zeigen deutliche, statistisch robuste Reduktionen von Angst- und Stressbewertungen unmittelbar nach App-Sitzungen. Allerdings sollte man diese Resultate mit Vorsicht interpretieren: Es handelt sich nicht um eine randomisierte Studie, sondern um eine Querschnittsanalyse mit Selbstselektion und Selbstberichten.
Für die Praxis kann solch eine App ein wertvolles Werkzeug zur Selbsthilfe sein, insbesondere als Ergänzung zu therapeutischer Begleitung. Für die Forschung bietet sie reiches Potenzial, um Hypothesen zu generieren und in kontrollierten Studien weiter auszutesten.
Die Studie entspricht den APA-Regeln für wissenschaftlich anerkannte Evidenz-Forschung.
Quelle: Church, D., Stapleton, P. & Sabot, D. (2020). App-based delivery of Clinical EFT: Cross-sectional study of app user self-ratings. JMIR mHealth and uHealth, 8(10), e18545.
Weitere wissenschaftliche Studien…
Wichtiger Hinweis: Die hier vorgestellte Methode der Klopfakupressur (EFT) versteht sich als komplementäre Maßnahme zur emotionalen Selbsthilfe. Sie ersetzt keine medizinische, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung. Bei starker oder anhaltender psychischer Belastung kann es sinnvoll sein, zusätzlich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.